Dienstag, 23. Dezember 2008

Drachental

Dies ist mein Beitrag zu Herrn Nightwinds Spiel. Ich beziehe mich auf seine Geschichte "Stadt ohne Drachen". Es einzuordnen fällt mir schwer. Entscheiden sie selbst.
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Liam huschte geduckt in die trügerische Sicherheit eines großen Felsens. Seine Lungen brannten wie Feuer und seine Beine schienen wenig mehr als zwei Klumpen Gummi zu sein. Erschöpft, müde und hungrig lehnte er sich für einen Moment an den kühlen Stein und sog die Abendluft gierig in abgehackten Stößen ein. Mehr als eine kurze Pause konnte er sich nicht gönnen. Er hatte zwar nur noch ein kurzes Stück Weg vor sich, doch dies war der gefährlichste Teil der Strecke. Die weite Ebene. Ein Flecken grün bewachsener Hölle.
Das Drachental hatte einst einen anderen Namen getragen. Niemand konnte sich noch an ihn erinnern. Auch in den wenigen noch erhaltenen Büchern fand man keinen Hinweis. Die Bewohner des Tals scherten sich nicht um Namen. Das Tal war ihre Heimat und ihre Verdammnis zugleich. Die dichten Wolken und Nebelfetzen, die ohne jemals aufzulockern den nahen Himmel bedeckten, hielten keinen Zauber in sich. Die Bergkuppen und Steilwände der Talränder bargen keine Schönheit. Die Wiesen, Baumgruppen und Flüsse wurden nicht ob ihrer natürlichen Schönheit bewundert. Denn jeder Ort außerhalb der Höhlen tief unter dem Talboden gehörte den Drachen.
Einst war es anders gewesen, so erzählten es die Ältesten. Vor unfassbar langer Zeit war das Tal ein Ort des Lebens gewesen. Die Menschen hatten in 'Städten' gelebt, die aus 'Häusern' und 'Hütten' bestanden. Sie konnten das Tal verlassen und zurückkehren, wann immer sie wollten. Sie widmeten sich seltsamen Arten des Zeitvertreibs. 'Ackerbau', 'Architektur', 'schöne Künste' wurden sie genannt. Die Worte hatten einen schönen Klang. Mehr als das war von ihnen nicht geblieben.
Ein Schatten huschte über Liam hinweg. Panisch warf er sich zu Boden und drückte sich an den Fuß des Felsens. Jeden Moment erwartete er den Schlag ledriger Schwingen, das Fauchen und Brüllen einer hungrigen Schuppenbestie, den kurzen unfassbaren Schmerz, wenn sich die kräftigen Kiefer des Drachen um ihn schlossen und dann... das Nichts. Doch kein Untier drang auf ihn nieder. Liam wagte einen schnellen Blick gen Himmel. Dann atmete er erleichtert aus. Ein Vogel zog einsam seine Runden. Die Drachen fraßen keine Vögel, sie hatten nur Interesse an größerer Beute.
Liam erhob sich aus der Deckung des großen Steins. Er atmete tief durch. Dann sprintete er los. Er rannte, so schnell ihn seine müden Beine trugen, sprang über kleinere Felsen, umrundete die Großen, hastete über das Gras saftiger Wiesen, den Kopf erhoben, der wachsame Blick stets den Himmel beobachtend. Flügel rauschten hinter ihm. Schwingen, überzogen von ledriger Haut. Das Kreischen des Drachens hätte Liam das Blut in den Adern gefrieren lassen, wenn es sich nicht vom Laufen wie kochende Lava anfühlen würde.
Liam warf sich zur Seite, flitzte wie ein Hase Haken schlagend von einer lachhaften Deckung zur nächsten. Er verschwendete keine Zeit darauf, sich umzusehen. Dem Tod blickt niemand freiwillig in die Augen. Da, das Loch! Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte hastete Liam darauf zu. Er stolperte über den Rand, krallte sich in den Lehm der Wände, um den Sturz zu mindern. Der Boden näherte sich rasch und Liam prallte hart auf. Hustend und vor Schmerz keuchend robbte er auf den vor ihm liegenden Gang zu. Der Weg nach unten - in die Sicherheit der Tiefe. Über ihm fauchte und brüllte der Drache am Rand des Lochs. Frustriert stieß das Untier die Krallen in den felsigen Lehm der Erde und brüllte seine Wut über die entkommene Beute in das Tal hinaus.
Jede Bewegung schickte Wellen aus Schmerz durch Liams Körper, als er sich an der nackten Felswand hochzog. Er tastete nach der groben Ledertasche und seufzte erleichtert. Er war nicht auf sie gefallen. Keine der großen Beeren schien zerquetscht. Die Beeren waren eine seltene Delikatesse und unglaublich wertvoll. Die Sammler riskierten ihr Leben auf der Suche nach den Beerbüschen. So groß die Gefahr, so hohes Ansehen genossen sie auch in ihrer Sippe. Sie erhielten stets das beste Stück Fleisch, sogar noch vor den Jägern, die in der unmittelbaren Nähe der Löcher die Schlingen auslegten, um Hasen und andere Kleintiere zu fangen. Liam war erst 10 Jahre alt, doch jeder Mann und jede Frau seiner Sippe sprachen seinen Namen in Ehrfurcht aus.
Langsam trabte Liam den Gang entlang. Als er an den ersten Wohnhöhlen vorbeiging verebbten die Gespräche darin schlagartig. Geflüster huschte wie ein Lauffeuer durch die Gänge. 'Liam ist zurück! Der Sammler ist zurück! Liam hat überlebt!' Die Worte trugen weit hier unten. Der Hüter der Nahrungskammer nickte Liam anerkennend zu. Der alte Mann war in seiner Jugend selbst ein ausgezeichneter Sammler gewesen, wie man sich erzählte. Er nahm die Tasche von Liam entgegen und trug sie mit höchstem Respekt in den hinteren Teil der Kammer. Wortlos wandte sich Liam ab und hinkte die Gänge entlang. Vor der Kammer eines befreundeten Jägers blieb er abrupt stehen. Die Kammer war leer. Die Regale und Strohmatten waren entfernt worden. Dies bedeutete hier nur eines. Sein Freund Alenris war länger als 10 Sonnenläufe nicht zurückgekehrt. Niemand überlebte lange an der Oberfläche. Liam selbst kannte niemanden, der länger als 5 Sonnenläufe ausgehalten hatte.
Liam schluckte hart. Manchmal, wenn er sich allein auf seinem Strohlager zusammengerollt hatte und die kargen Lehmwände seiner Behausung anstarrte, wünschte er sich einen Ort, weit fern von hier. Eine 'Stadt' in der viele Menschen lebten, welche friedlich ihren 'Geschäften' und 'Künsten' nachgehen konnten. Die liebten und lebten, ohne jeden Tag den Tod vor Augen zu haben. Eine Stadt ohne Drachen...

2 Kommentare:

  1. Dieser gänzlich andere Blickwinkel gefällt mir!

    Bei den Geschützen die hier aufgefahren werden, wird es schwer unter die ersten drei zu kommen. ;-)

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  2. *deutet eine Verneigung an* Vielen Dank :o) Aber verstecken müssen sie sich ja nun wirklich nicht :o)

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